Der neue Chefcoach der Blindenfußball-Nationalmannschaft, Martin Mania, hat ein gemeinsames Online-Fitnesstraining auf die Beine gestellt, das seine Spieler in der heimischen Wohnung absolvieren. Manias Team um Mannschaftskapitän Alexander Fangmann hält auf diese Weise untereinander Kontakt und die eigene Fitness aufrecht. Am 22. Mai 2021 startet dann der von der DFB-Stiftung Sepp Herberger organisierte Spielbetrieb der Blindenfußball-Bundesliga.
Der Einstieg ist Alexander Fangmann und seinen Gefährten von der Blindenfußball-Nationalmannschaft nicht neu: Vorfreude anrollen lassen, Trikot überstreifen, die Mitspieler begrüßen und los geht’s. Aber derzeit geht es eben nicht auf den Fußballcourt, sondern ins Bügelzimmer, auf die Terrasse oder in den Flur der heimischen Wohnung. Dort absolvieren die Spieler ein Cybertraining, weil die Pandemie das gewohnte Kicken bei Turnieren oder auch ein Mannschaftstraining unmöglich macht. Man kommt zusammen. Nicht physisch, sondern virtuell, via der Internetplattform Zoom. Hunderte Kilometer getrennt und doch gemeinsam wird geschwitzt, geflachst und gesprochen. Samstag für Samstag geht das so. Anderthalb Stunden lang.
Initiiert hat das Programm der neue Bundestrainer Martin Mania. Eine seiner ersten Maßnahmen als Trainer habe darin bestanden, herauszufinden, wo bei seinen Spielern Verbesserungsbedarf bestehe. „Das Thema Fitness ist den Jungs und mir sehr wichtig“, sagt Mania. Diesem Anliegen komme er nun nach. „Für uns Spieler ist es zudem wichtig, in diesen Zeiten in Kontakt zu bleiben“, erklärt Fangmann, der sich auch im Kuratorium der DFB-Stiftung Sepp Herberger engagiert. Der gemeinsame Wochenendtermin sorge für Verbindlichkeit. „Anders als beim Training alleine, gibt es da keine Ausreden. Man muss sich aufraffen“, so der 36-Jährige.
Wenn die Pandemie überhaupt eine gute Seite hat, dann ist es, kreative Lösungen zu finden. Besondere Zeiten erfordern eben besondere Ideen – jedenfalls, wenn man Ziele verfolgt. Und an Zielen und Ambitionen fehlt es dem deutschen Nationalteam nicht. Am Horizont zeichnen sich die nächsten Turniere ab - die EM 2022, die WM 2023 und - wenn alles perfekt läuft und die Qualifikation glückt – die Paralympics 2024 in Paris. Man wolle die Lücke zu Spanien, Frankreich oder Russland schließen, sagt Mania, der zum Jahreswechsel vom Guide, der die nichtsehenden Stürmer auf dem Platz instruiert, zum Nachfolger von Chefcoach Peter Gößmann ernannt wurde.
Wie wichtig bei den dicht getakteten internationalen Turnieren ausreichende physische Grundlagen sind, hat der letzte große Wettbewerb gezeigt. Bei der Europameisterschaft 2019 wurde das deutsche Team Siebter. Ein besseres Abschneiden habe man auch deshalb verpasst, weil in der Partie gegen Russland am Ende erkennbar die Kräfte schwanden und man trotz Führung nur 1:1 spielte, betont Fangmann.
Für erfolgreichere Zeiten will man schon jetzt die Weichen stellen. Wenn es nicht anders geht, auch beim Wohnzimmer-Training. Dennoch geht es nicht verbissen und übertrieben ehrgeizig zu. Zwischen Liegestütze und Klappmesser findet Athletikcoach Desmond Thompson die perfekte Mischung aus lockeren Sprüchen und klaren Ansagen. „Wir arbeiten heute nicht nur an eurer Fitness, sondern auch an eurem Hochdeutsch und wir geben Kosmetiktipps“, sagt der gebürtige US-Amerikaner mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Er ist absolut authentisch, das kommt gut an“, sagt Mania über den einstigen Football-Spieler.
Bei allem Spaß sind Mania und Thompson voll fokussiert. Beide haben den Monitor stets im Blick, um bei allen Spielern das Training zu beobachten, anzuleiten, anzufeuern und immer wieder zu korrigieren. Die Übungen sollen schließlich effektiv und gesund sein, Schnellkraft und Stabilität stärken und nicht etwa Blessuren nach sich ziehen. Zeigen und Vormachen sind dabei nicht der Weg, schließlich können die Spieler ihn nicht sehen. „Wir müssen uns also sehr präzise ausdrücken, genau hinschauen, die Richtung vorgeben, aber das ist unsere tägliche Arbeit“, macht Mania klar. „Wenn wir sagen, Po nach Norden strecken, wissen die Jungs, dass der Allerwerteste hoch muss“, sagt der 28-Jährige, der gerade sein Referendariat als Gymnasiallehrer abgeschlossen hat. Erste Tipps gibt es schon, bevor geschwitzt wird, denn die Kameras von Smartphones und Laptops müssen perfekt ausgerichtet sein, damit jeder für die Coaches gut im Bildschirm zu sehen ist. Viele Übungen auf der Fitnessmatte kennen die Spieler inzwischen. Dennoch ist es nicht immer ganz einfach, mit dem teils begrenzten Platz klarzukommen, Ausfallschritt und Fallübungen zu absolvieren, ohne das Bücherregal abzuräumen oder über eine Hantel zu stolpern.
„Bis jetzt hat es immer gepasst. Man kennt schließlich sein eigenes Zimmer“, sagt Fangmann, der für den Deutschen Meister MTV Stuttgart spielt. Ohnehin sind beim Training daheim Anpassungsfähigkeit und Flexibilität gefragt. Wer keine Hanteln besitzt, absolviert manche Kraftübung mit gefüllten Wasserflaschen. Nick trainiert auf der Terrasse – nicht nur, weil er dort mehr Platz hat. „Ich spiele Fußball, seit ich vier bin und war dafür immer draußen“, macht er deutlich.
Der Einsatz zahlt sich aus. „Good Job! Ihr seid Maschinen!“, tönt es vom Athletikcoach aus dem Lautsprecher. Und Mania ruft ins Mikro: „Sehr schön Männer, bleibt dran!“
Diese Worte motivieren, hallen nach. Genau wie die Freude am gemeinsamen Training, die vielen nicht ganz ernst gemeinten Kommentare unter Spielern und Verantwortlichen. „Es ist also mehr als 90 Minuten Fitnesstraining“, wie Fangmann sagt. Es ist eine gute Brücke in die Zeit, in der es wieder heißt Fußballcourt statt Bügelzimmer.